Nein, Herr Nagelsmann, keine Angst, Sie müssen Ihren Job vor lauter Panik nicht gleich quittieren. Das wird mit mir im DFB-Team nichts mehr. Und auch mein Sohn hat diesen Wunsch zuletzt vor 15 Jahren geäußert.
Aber: Soll mein Kind in den Spitzensport? Oder z. B. ein berühmter Musiker werden? Und wenn ja, was wäre der Preis? Ich komme darauf, weil ich vorige Tage mit einem Freund darüber diskutierte. Er meinte, wenn das Kind eine besondere Begabung in einer Sportart oder mit einem Instrument besitze, sei es doch toll es darin zu fördern. Das steigere beim Kind Spaß und Selbstbewusstsein. Und wenn sich dann noch der Erfolg einstelle…
Meine Gegenfrage war, mit welchem Verzicht das Kind zahlt und welche Erfolgsaussichten es gibt? In einem Beitrag auf „Inside Jugendfussball“ las ich die Musterrechnung, es gebe pro Jahr in den ersten beiden Ligen 936 aktive Fußballer. Auf der anderen Seite wollen 2,5 Millionen der 7 bis 14-jährigen in den beiden höchsten Ligen spielen. Was schlicht ergibt, dass 0,037% dieser Altersgruppe in die beiden Ligen kommen könnten.
Nun muss man aber berücksichtigen, dass nicht jedes Jahr 936 Plätze frei werden, sondern viel weniger. Und in der Rechnung treten auch nicht all die Kids auf, die heute noch in Japan oder Ägypten, Schweden, Polen oder Frankreich kicken, aber auch von der Bundesliga träumen und von Spielervermittlern angeboten werden. Da kommen bei der obigen Wahrscheinlichkeitsrechnung noch viele Nullen hinter dem Komma hinzu.
Einen weiteren Aspekt finde ich hochinteressant. Der mehrfache Schach-Weltmeister Viswanathan Anand wurde neulich in der „Süddeutschen“ gefragt, weshalb er einst nicht von der Schule abgegangen und sich voll auf Schach konzentriert habe, so wie viele Talentierte es tun. Seine Antwort: „Wer sich mit zwölf oder 14 Jahren komplett auf Schach fokussiert, der verschließt andere Türen. Man sagt mit dieser Entscheidung: In fünf Jahren werde ich dem Rest meiner Altersgenossen bei fast allem – außer im Schach – hinterherhinken. Für mich fühlt sich das sehr riskant an.“
Wie recht er hat. Zumal man mit den meisten Sportarten auch kein Geld verdienen kann. Mit Fußball natürlich, mit Erstliga-Handball immerhin hoch sechsstellig, aber sonst? Ja, im Ausland sind für manche Sportarten höhere Beträge drin. Aber ist das eine realistische Perspektive?
Zum Preis gehört auch eine nicht gelebte Jugend. Mit Freunden um die Häuser ziehen? Die erste Freundin, der erste Freund? Urlaub mit der Familie oder Freunden? Partys und der erste Suff? Ausschlafen, wenn man mag? Omas 80. Geburtstag wird am Spieltag auf der Reservebank verbracht.
Ja, es braucht diese Kinder und Eltern, die all das unbedingt wollen. Sonst hätten wir nicht so großartige Spieler wie aktuell Jamal Musiala und Florian Wirtz. Aber man sollte nicht vergessen, dass hinter den wenigen Erfolgreichen ganz viele Nicht-Erfolgreiche liegen.