Der Aufschrei war 2008 groß, als der „Stern“ enthüllte, dass Lidl seine Mitarbeiter mittels Kameras überwachen ließ. Wer ging wann zur Toilette, wer telefonierte wann mit wem, nichts war unwichtig genug, um nicht von den Detektiven des Hauses und deren technischen Hilfsmitteln erfasst zu werden. Der Discounter wurde wegen Nichtbeachtung von Datenschutzregeln zu einer Straße von fast 1,5 Millionen Euro verurteilt.

17 Jahre später sind die Überwachungsmethoden dank KI noch raffinierter geworden. Und wie immer gibt es die Diskussion um Vor- und Nachteile der Kontrolle. Auch im öffentlichen Raum, gerade nach Ereignissen wie im Mai 2024 in Mannheim, im Januar in Aschaffenburg oder letzten Freitag im Hamburger Hauptbahnhof. Geben Kameras an Brennpunkten wie Bahnhöfen und Marktplätzen mehr Sicherheit und sind somit hilfreich oder überwachen sie den Bürger noch stärker?

Ganz ähnlich am Arbeitsplatz. Im Baugewerbe z. B. installiert man technische Überwachungsgeräte unterschiedlicher Art, um Sicherheitsrisiken in Echtzeit erkennen und somit Unfälle verhindern zu können. So weit so gut. Zu diesen technischen Hilfsmitteln gehören auch GPS-Tracker an den Sicherheitshelmen der Mitarbeiter. Mit denen kann der Arbeitgeber aber auch erkennen, ob ein Mitarbeiter sich viel bewegt oder lange herumsteht und womöglich nicht produktiv ist. Und daraus seine Schlüsse ziehen.

Längst schon trifft es nicht mehr die Mitarbeiter im Warenlager, auf dem Bau oder in anderen Blue Collar-Bereichen. Auch Büroarbeiter können dank „Bossware“ kontrolliert werden. Damit wird heimlich installierte Software bezeichnet, die registriert, wann der Mitarbeiter zuletzt die Tastatur benutzt hat, welche Programme geöffnet sind oder wie aktiv er an virtuellen Meetings teilgenommen hat. Über 550 solcher Systeme soll es geben, die mit dem Hype um das Home-Office während der Pandemie zum Verkaufsschlager wurden.

Nun mag man argumentieren, dass doch niemand etwas zu befürchten hätte, wenn er sich an Vorschriften und Gesetze halte. Und außerdem regele doch die DSGVO den Einsatz solcher Mittel.

Die Gegenseite weist auf das Misstrauen hin, das dem Mitarbeiter entgegenschlägt und ihn demotiviert. Er ist in der Folge mehr damit beschäftigt zu überlegen, wie er das System austrickst als sich über die erfolgreiche Erfüllung seiner Arbeit Gedanken zu machen. Kreative Freiräume und innovative Lösungen werden verhindert, weil Mitarbeiter auf die Erfüllung vorgegebener Kennzahlen reduziert werden. Der Call-Center-Anruf darf nur so und so viel Minuten dauern, eine Warenpalette muss innerhalb einer bestimmen Zeit verteilt sein. Alternative Wege sind nicht erlaubt.

KI macht Kontrollmöglichkeiten raffinierter und gefährdet zugleich noch stärker Arbeitszufriedenheit und -qualität. Die vertrauensvolle Kommunikation zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern über Datenschutz und Arbeitsmethoden wird noch wichtiger.