Es begab sich am Nachmittag des 23. Dezember. Ich kontrollierte kurz meine Mails. Da wurden mir 25% Rabatt auf Druckerpatronen angeboten, ich sollte für mehrere tausend Euro Marketing-Pakete für endlosen Umsatz kaufen und ein Dritter bot mir top Videodrehs an. Und ich dachte: Leute, geht es noch? 

Ich koche gerade die Kartoffeln vor, damit ich sie morgen karamellisieren kann. Der Rotkohl ist geschnitten und wird gleich erhitzt, damit er morgen nach erneutem Aufwärmen noch besser schmeckt. Ich muss noch durchsaugen bevor die Verwandtschaft kommt. Denn ist der Tag vor Heiligabend! Glaubt ihr wirklich, ich hätte jetzt nicht besseres im Kopf als Druckerpatronen und Marketingaktionen?

Zugegeben, wir alle sind auf Xing oder LinkedIn, weil wir berufliche Netzwerke aufbauen wollten und wollen. Wir schreiben über unsere Erfolge, wir kommentieren Einträge aus unserem Netzwerk, wir betreiben Eigenmarketing. Wir wollen unseren Arbeitgeber promoten, uns selbst für andere Firmen oder Headhunter interessant machen oder unser eigenes Produkt, unsere Dienstleistung verkaufen. Das alles ist legitim und Sinn und Zweck dieser Plattformen. 

Womit ich nur ein Problem habe, ist das zum Teil fehlende Fingerspitzengefühl. Da hat mir kürzlich jemand per Massenmail seine Dienstleistung für mich als Selbständigen angeboten. Neukundengewinnung in meinem Namen oder Marketing-Pakete für Facebook und Instagram zum Beispiel. Auf die erste Aufforderung zum baldigen Telefonat hierzu habe ich nicht reagiert. Nun folgt seine zweite Mail: „Jan, wann können wir endlich telefonieren?“ Ja, ich denke mal: gar nicht.

Ein paar selbsternannte Jung-Dynamiker schickten mir vor zwei Jahren alle drei Tage eine Nachricht, in der sie ihr einmaliges und garantiert erfolgreiches Marketing-Paket für mich anboten. Es war immer jemand anderer aus dem Unternehmen, aber das machte es nicht besser. Im Gegenteil, es nervte mich. Einem der Jungs schrieb ich, er und seine Kumpels sollten mich bitte von der Liste streichen. Was die als Aufforderung begriffen, mich nun sogar alle zwei Tage mit ihren sinnfreien Texten zu beglücken. Aber nicht lange, denn dann hatte ich mich bei Xing über diese Gang beschwert und hörte nie wieder etwas von ihr.

Inzwischen bestätige ich Kontaktanfragen von Dienstleistern mit dem Zusatz, dass wir uns gerne vernetzen könnten, das sei Sinn der Plattform. Aber an z. B. Videodrehs oder Steuersparmodellen hätte ich kein Interesse und bäte um entsprechende Berücksichtigung. Und das funktioniert.

Ja, ich bin auch Dienstleister und biete zuweilen meine Leistung auch möglichen Neukunden an. Mancher zeigt sich interessiert, mancher heute und auch in Zukunft nicht, mancher derzeit nicht. Bei Letzteren bringe ich mich ab und an in Erinnerung, mal mit Erfolg, mal ohne. Aber ganz sicher nie am 23. Dezember.

Übrigens: Die Großen machen es auch nicht galanter. An meinem Geburtstag letzte Woche erhielt ich von einem Textilversender einen Gutschein über 5€. Einlösbar bei einer Bestellung innerhalb von zwei Tagen.