Petra Golisch ist Programmleiterin und Bloggerin zum Thema Reisen (www.pendeln.mobi). Sie erlebt täglich, dass sich die Grenzen zwischen den Arbeitsorten auflösen.
J.S.: Mir sind die Arbeitsplatzformen Büro, Home Office und hybrid bekannt. Sie sagen, es gebe noch die „mobinäre“ Form. Was verstehen Sie darunter?
P.G.: „mobinär“ ist eine Wortschöpfung von mir und setzt sich zusammen aus „mobil“ und „stationär“. Früher habe ich im Home Office oder von unterwegs im engeren Sinne – z.B. im ICE – tendenziell andere Dinge gemacht und erledigt als im Verlagsbüro, wo ich sicht- und greifbar bin.
Diejenigen Kolleg*innen oder Mitarbeiter*innen, die vor Ort waren, haben auch mehr darauf geachtet, dass ich bewusst im Home Office mal eine, z.B. konzeptionelle, Tätigkeit gemacht habe und dafür „meine Ruhe haben“ wollte.
Und dass ich im Großraumabteil eines Zuges keine lautstarken dienstlichen Telefonate geführt habe, war auch, im wahrsten Sinne des Wortes, stillschweigend klar. Spätestens seit Corona haben sich aber nun viele an die Erreichbarkeit – und damit einhergehend Verfügbarkeit – gewöhnt.
J.S.: Das bedeutet, dass auf den Arbeitsort keine Rücksicht mehr genommen wird, wir sind immer und überall zu jedem Thema erreichbar?
P.G.: Gar keine Rücksicht, das würde ich so nicht sagen, aber deutlich weniger als früher, d.h. vor der Corona-bedingten Normalität des Home Office. Für meinen Vorgesetzten, meine Kollegen und Kolleginnen und meine Mitarbeiter*innen ist es mittlerweile einfach völlig normal – und damit auch ein Stück weit egal – geworden, wo ich gerade bin. Man ruft halt mal an oder schickt ’ne Mail und geht davon aus, dass jemand drangeht oder zeitnah antwortet – unabhängig davon, wo die angefunkte Person in dem Moment sitzt.
Externe Anrufer merken aufgrund der modernen Telefonanlagen ja sowieso nicht mehr, wo ihr Ruf gerade ankommt – selbst die stationäre „Festnetznummer“ kann ich mittlerweile überall „abrufen“, wo ich Internet habe … Die Grenzen zwischen „Ich bin zwar hier, aber eigentlich ganz woanders!“ verschwimmen und spielen häufig auch keine Rolle mehr.
J.S.: Diese Entwicklung klingt für mich eher negativ, weil das Arbeitsleben so den Privatraum in Besitz nimmt, also z. B. mein Zuhause oder die Bahnfahrt.
P.G.: Mein „mobinäres“, übertrieben gesagt „bipolares“ (Arbeits-)Leben ermöglicht mir einiges an Freiheit und Flexibilität, andererseits fällt es tatsächlich schwerer, die „andere Welt“ auch mal auszublenden oder sogar komplett auszuschalten – also fast so eine Art Negativ-„Booster“ für ADHS, falls man dazu neigt.