„Ich trinke jeden Abend zwei Flaschen Rotwein und telefoniere regelmäßig mit Bundespräsident Horst Köhler.“ So stand es vor vielen, vielen Jahren sinngemäß in einem Anschreiben einer Bewerbung. Diese hatte jemand verschickt, um zu beweisen, dass diese Anschreiben niemand liest. Und tatsächlich erhielt er von vielen Firmen positive Rückmeldungen: „Vielen Dank für Ihren interessanten und eindrucksvollen Lebenslauf, wir brauchen noch einige Zeit….“ Und so fort.
An diese Geschichte musste ich jüngst denken, als ich über Authentizität in Bewerbungsgesprächen las. „Authentisch“ ist ja das Buzzword unserer Tage. „Wie würden Sie sich selbst beschreiben?“ „Authentisch.“ „Wie würden andere Sie beschreiben?“ „Sehr authentisch.“ „Was wünschen Sie sich von ihrem nächsten Chef?“ „Dass er absolut authentisch ist.“
Ja, was würde passieren, wenn wir in Bewerbungsgesprächen ähnlich offen wären wie der eingangs erwähnte Fake-Bewerber? Wenn wir zugeben würden, dass wir maximal einmal die Woche joggen würden und das auch nur mit wenig Spaß? Dass wir stattdessen mehr Vergnügen an der Playstation haben oder mit Kriminalromanen oder bei Bayern München gegen Borussia Dortmund im Fernsehen? Wenn wir gestehen, dass wir ab und an zu cholerischen Ausbrüchen neigen, agiles Arbeiten für pseudo-demokratische Zeitverschwendung halten und die Arbeit so langweilig ist, dass wir aus der Not Blogs wie diesen lesen? Dass wir gerne Mails von Kollegen auf orthographische Fehler durchlesen und die korrigierte Version an die gesamte Abteilung senden? Die Zusage für einen Job würden wir für diese wirkliche Authentizität ganz sicherlich nicht erhalten.
Forscher haben laut des “Personality and Social Psychology Bulletin” jetzt herausgefunden, dass wir Selbsterhöhung für Authentizität halten. Alle positiven Erlebnisse und alle Erfolge benennen wir gerne, weil wir davon ausgehen, dass wir genau diese Person sind. Alle Schwächen und alle Misserfolge blenden wir aus, das sind einzelne Ereignisse, die uns nicht wirklich ausmachen. Wenn in einem Bewerbungsgespräch dann noch der Faktor „Sozial erwünschtes Verhalten“ hinzukommt, erhöhen wir uns noch deutlich mehr. Wir gehen natürlich täglich ins Fitnessstudio, kochen zunehmend vegetarisch und interessieren uns sehr für fremde Kulturen. Das Gläschen Wein am Abend oder unsere politische Arbeit in einer Partei hingegen verschweigen wir unserem Gegenüber, das könnte schlecht ankommen.
Ich nehme mich da nicht aus. Einen Bewerber, der als einziges Hobby „Malt Whiskey“ angab, nahm ich aus dem Bewerbungsprozess. Obwohl der vielleicht aufgrund seiner Kennerschaft damit weitaus besser umgehen konnte als andere. Das galt auch für einen Bewerber, der über sich selbst sagte: „Es ist schon anstrengend, wenn man alles kann.“ Das war in der Tat authentisch, zeugte aber nicht von Teamplayer-Qualitäten.
Die Kombination aus Selbsterhöhung und sozial erwünschtem Verhalten mag menschlich sein, nicht veränderbar oder sehr nachvollziehbar. Auf keinen Fall ist sie „authentisch“. Dieser Begriff ist in Bewerbungsgesprächen ein No-Go.