Ich halte mich für einigermaßen schlagfertig. Aber vor zwei Monaten blieb selbst ich sprachlos. Ich erhielt die Bewerbung einer jungen Frau auf eine Marketingposition. Ihr Bild zeigte ihre obere Körperhälfte und dabei war ihr Bauch frei. Sehr frei. Die Worte fehlten mir nicht, weil ich zuvor noch nie einen weiblichen Bauch gesehen hatte. Sondern weil ich darüber nachdachte, was in einem Menschen vorgeht, der sich so fotografiert bewirbt. Und ich fand keine Antwort.
„Auf Bilder achten wir nicht, sonst hätten wir meinen neuen Kollegen nie eingeladen.“ Das gab der Geschäftsführer eines meiner früheren Arbeitgeber einst ganz freimütig zu. Er zeigte mir, ganz vertraulich natürlich, das Bild. Und in der Tat, es war keine Sternstunde der Porträtfotografie.
Das Thema „Bilder bei Bewerbungen“ ist ein Dauerbrenner im Personalbereich. Es gibt Länder, die untersagen Bilder generell, so Großbritannien, Kanada und die USA. Die Diskussion über den Nutzen flammt in Deutschland auch immer wieder auf, hier gibt es keinen Zwang zum Bild. Ich finde Bilder zum einen sehr hilfreich, zum anderen aber auch oft in die Irre führend. Hilfreich sind sie, weil die Eigendarstellung schon so einiges aussagt. Eher konservativ mit Anzug, Schlips oder Kostüm? Oder doch moderner mit offenem Hemd oder schicker Bluse oder gar einem Polo?
Die Zeit der schrecklichen Bilder mit vollem Schreibtisch, einem breiten Grinsen und dem Telefonhörer am Ohr, die wahnsinnige Dynamik beweisen sollten, ist ja erfreulicherweise vorbei. Aber es gibt gerade im Vertrieb noch Menschen, die nun auf Fotos das Handy am Ohr haben. Nun gut, es sind nur wenige.
Dafür ist die Plage namens „Selfie“ über uns hereingebrochen. Die einen können das und fügen aussagekräftige Bilder bei. Andere sind Selfie-unfähig (so wie ich) und zeigen mächtig angespannte und zum Teil verzerrte Gesichter oder irgendwelche Urlaubsbilder. Gerne in den Bergen mit Schneebrille und Pudelmütze. Wer mit solchen Aufnahmen für sich wirbt, spart an der falschen Stelle und führt den Betrachter in die Irre. Ebenso übrigens wie die Bilder, die entstanden sind, als die Person noch zehn Jahre jünger war. Mir ist es mehr als einmal passiert, dass ich auf dem Flughafen oder in der Hotellobby einen Bewerber deshalb selbst beim zweiten Blick nicht erkannt habe.
Zurück zum Bauch. „Was denkt mein Gegenüber über mich, wenn ich Anzug X oder Hemd Y anziehe?“, ist immer eine Frage gewesen, die ich mir vor meinen Vorstellungsgesprächen gestellt habe. Es geht um den ersten Eindruck, den ich auch in den folgenden 90 Minuten kaum korrigiert bekomme. Dieses Denken scheint nicht nur der Bauchfrau abhanden gekommen zu sein. Bei Interviews per Zoom oder Teams sind Jogginghosen und zerknitterte T-Shirts keine Seltenheit. Ist es demjenigen egal, ob er den Job bekommt? Ist ihm der Interviewpartner gleichgültig? Ist er sich selbst nicht viel wert? Diese Nicht-Nachdenker sind bereits nach 20 Sekunden auf der Verliererstraße. Eigentlich schade.