Vor meinem Büro haben sich einige abgelehnte Bewerber auf dem Gehweg festgeklebt. Sie fordern, dass ich sie erneut zum Gespräch einlade. Schließlich seien sie die letzte Generation, die die ausgeschriebenen Jobs noch ausüben könne, bevor KI-Chatbots wie ChatGPT die Arbeit übernehmen.

Andere abgelehnte Kandidaten ziehen jeden Montag mit Fackeln an meinem Büro vorbei. Sie fühlen sich durch meine Absagen in ihren bürgerlichen Freiheitsrechten beschränkt: „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.“

Ein bereits fünf Mal abgelehnter Bewerber hat mich auf der Straße mit Hundekot beschmiert. Ein Kunde lässt seit gestern einen weißen Ballon über meinem Büro kreisen, um herauszufinden, ob ich auch an seinem Auftrag arbeite. Ich würde ihn gerne abschießen. Schweißgebadet wache ich aus diesem bösen Traum auf. 

Ja, der Job lässt einen auch nachts nicht los. Am Tag kann man ebenfalls träumen. So gibt es z. B. ein Nachbarschaftsnetzwerk namens „nebenan.de“. Wer sich für das Wochenende eine Bohrmaschine ausleihen möchte, kann sich ebenso melden wie jemand, der ein paar Krimis verschenken will oder Mathenachhilfe anbietet. Eine grundsätzlich sehr schöne Idee. Auch wenn es so fiese Angebote wie Lachyoga und gemeinsames Mantrasingen gibt.

Kürzlich schrieb allerdings jemand, er sei an One-Night-Stands interessiert oder an Freundschaft+. Und ich dachte: „Junge, dafür gibt es andere Plattformen, das will ich hier nicht lesen.“ Ein paar Tage später suchte eine Frau eine nette Frau zwischen 50 und 60 für eine Beziehung. Sie ahnen, was ich dachte.

Nun mag man argumentieren, auch diese Wünsche haben auf einem Nachbarschaftsnetzwerk ihre Berechtigung. Ich träume allerdings davon, dass Netzwerke in ihrer Grundidee erhalten und nicht mit ganz anderen Intentionen gekapert werden. Xing und LinkedIn beispielsweise waren eigentlich als berufliches Netzwerk gedacht. Irgendwann wurde aber auch dort über z. B. Corona gestritten und heute schlagen sich dort Freunde und Feinde von Scholz und Merz, Gendern und Ukraine-Unterstützung die Köpfe ein. Pöbeleien auf niedrigem Niveau haben ebenso Einzug gehalten wie Frauen in Playmate-des-Monats-Tracht.

Doch ich habe gar keine Lust, über diese Themen in Berufsnetzwerken zu lesen. Mein Wunsch ist, dass auf Xing und LinkedIn Berufliches berichtet und diskutiert wird, auf kicker die großen Fragen des Fußballs gewälzt, auf Spiegel, FAZ, Süddeutscher und anderen politische Diskussionen geführt werden. Für Pöbeleien weit unter der Gürtellinie steht Twitter zur Verfügung. Und neue Lebens- und Liebespartner gibt es auf Tinder und Parship. Ich weiß, dieser schöne Traum von Plattform-Zielgruppen-Reinheit ist höchst naiv. 

Doch so hat jeder seine Träume, gute und schlechte, realistische und naive, berufliche oder private. Oder besondere wie der Hamburger Multi-Unternehmer Alexander Graf: „Rettet den Wald. Esst mehr Spechte.“