Hat es „MeToo“ nie gegeben? Das musste man sich in den vergangenen Wochen ernsthaft fragen. Da erschien Benjamin Stuckrad-Barres Buch „Noch wach?“ über einen sexhungrigen Chefredakteur und junge Mitarbeiterinnen, die dem nachgeben, um ihre Karriere nicht zu gefährden. Bekanntlich ein Schlüsselroman über die Bild-Zeitung und den Springer-Verlag.

Kurz darauf wurde der Fall des trunkenen Til Schweiger bekannt, der für den sinnfreien zweiten Manta-Film u. a. eine ebensolche Oben-ohne-Szene mit einer Frau drehen ließ und Frauen mit einem Begriff titulierte, der hier nicht stehen soll. So wird berichtet. Die renommierten Filmproduzentinnen Regina und Tanja Ziegler erwähnten in einem Interview, dass sie sich von einem Mitarbeiter trennen mussten, weil der ungebeten versucht hatte, den BH einer Kollegin zu öffnen. Und schließlich trat noch Max-Josef Meier zurück, Gründer des Start-ups Finn.Auto. Der hatte auf einer Weihnachtsfeier vor anderthalb Jahren gleich neun Mitarbeiterinnen bedrängt, was aber erst jetzt an die Öffentlichkeit kam.

Schauen wir nach Dänemark. Dort musste bereits 2020 der Kopenhagener Oberbürgermeister Frank Jensen ebenso zurücktreten wie Morten Østergaard, der Vorsitzende einer linksliberalen Regierungspartei, die beide weibliche Parteimitglieder bedrängt hatten. Kürzlich geriet ein führendes Mitglied der rechtsliberalen Regierungspartei Moderaterne in die Schlagzeilen, weil der 63-jährige einer 19-jährigen Parteifreundin per SMS die Einschätzung „Du wirkst klug und bist schön mit dem leckersten Körper“ geschickt hatte. 

Wenige Tage später musste Lizette Risgaard, die Vorsitzende der Gewerkschafts-Dachorganisation FH, ihren Posten räumen. Sie musste zugeben, dass sie Männer dort berührt hatte, wo ihre Hände einfach nicht hingehörten. 

Wenn man so liest, fragt man sich, ob die „MeToo“ genannte Hoffnung auf mehr Respekt nur eine Fata Morgana war. Ich finde zwei Aspekte sehr interessant. Zum einen fanden einige der erwähnten Missbräuche über Jahre hinweg statt und waren anderen bekannt. Doch das Kartell des Schweigens funktionierte. Es gab reichlich Mitwisser und somit Mitschuldige. Der zweite und zentrale Aspekt ist, dass Macht anscheinend enthemmt. Diese Grenzüberschreitungen sind Männern nicht vorbehalten, siehe den Fall Risgaard. Sie werden aber in der Mehrzahl von Männern verursacht, weil Machtpositionen nun mal fast durchgehend in deren Besitz sind. 

70,96 % aller Männer haben in ihrem Lebenslauf schon einmal gelogen, aber nur 46,06 % aller Frauen. Bleibt beim Thema Machtmissbrauch die Hoffnung, dass Frauen tatsächlich weniger anfällig dafür sind, wenn sie in den nächsten Jahren hoffentlich vermehrt in die entsprechenden Positionen gelangen.