„Ab übermorgen erhalten Sie 20 % weniger Gehalt.“ Fassungslos schauen Sie auf die Nachricht Ihres Chefs. Die kam völlig überraschend und ohne Vorgespräch. Nun gut, er hatte schon ab und zu so Anmerkungen gemacht, dass Sie eigentlich böse sind, ihn nur ausnutzen würden und nicht dankbar seien. Aber dass er so reagiert…
Abends sitzen Sie zuhause und überlegen mit der Familie, wie Sie reagieren können. Und während Sie noch zwei weitere Tage nachdenken und sorgfältig abwägen, folgt die zweite Nachricht Ihres Chefs: „Ab morgen ziehe ich Ihnen nicht 20 % Gehalt ab, sondern 35%.“ Sie sind fassungslos und denken jetzt intensiver über ihre Gegenmaßnahmen nach.
Einer Ihrer Kollegen hat umgehend reagiert: „Wenn Sie mir 20 % Gehalt abziehen, kürze ich meine Wochenarbeitszeit ebenfalls um 20 %.“ Es überrascht nicht, dass er am nächsten Tag die Nachricht erhält, ihm würde zukünftig 50% Gehalt abgezogen. Natürlich erklärt er postwendend, nur noch 50% der vereinbaren Wochenarbeitszeit zu erscheinen. Der Fall eskaliert endgültig, als der Kollege die Nachricht erhält, nun würde ihm 135 % des Gehalts abgezogen. Er würde also nicht nur kein Gehalt mehr bekommen, sondern habe noch Geld mitzubringen.
Die dritte Nachricht des Chefs soll Mut machen: „Es ist ein harter Weg, doch er wird am Ende für die Mitarbeiter alles besser machen.“ Derweil stellen nicht nur Sie, sondern auch alle anderen Kollegen fest, dass sie kaum noch Geld für Brot und Butter mehr haben. Es fehlt Ihnen die Kraft für den Weg ins Büro. Da schreibt Ihr Chef, die nächsten 90 Tage gäbe es wieder volles Gehalt, es seien wohl alle etwas nervös geworden.
Hätte ich diese Zeilen vor einem Monat formuliert, hätten Sie sich sicherlich gefragt, was ich gerade geraucht habe. Das werden sie heute nicht denken, denn so verrückt spielt da bekanntlich gerade jemand. Nun kann man dieses „Ich mach´s, weil ich´s kann“-Gebaren aus zig Perspektiven bewerten.
Angestoßen vom 80. Todestag Dietrich Bonhoeffers letzte Woche, möchte ich den Aspekt „Gerader Rücken“ herausgreifen. Washington fordert weltweit von Unternehmen und Institutionen alles, was mit Gleichberechtigung, Diversität usw. zu tun hat, einzustellen, sofern man Geschäfte mit den USA machen möchte. Und täglich ist nun zu lesen, dass Angesprochene diesen Forderungen nachkommen. Vor zwei Jahren musste z. B. der Regenbogen möglichst viele Produkte zieren, so versuchten Unternehmen ihre Offenheit und Liberalität zu unterstreichen.
Heute gilt das vielfach nicht mehr. Was aber, wenn in vier Jahren eine Frau oder ein Mann dort Präsident wird, die oder der Anhänger von Offenheit, Toleranz, Gleichberechtigung etc. ist? Wird der Regenbogen schnell entstaubt? Ist man als Unternehmen plötzlich wieder weltoffen? Wie glaubwürdig ist das? Und wie beschädigt bereits die eigene Marke?