Die Bewerberin sagt nach dem zweiten Gespräch mit meinem Kunden zu. Schriftlich. Große Freude bei ihm. Und bei mir. Der besprochene und unterschriebene Arbeitsvertrag geht in die Post. Die Tage vergehen, ohne dass der Vertrag zurückkommt. Der Kunde fragt nach. Einmal, zweimal. Ja, der Vertrag wird die Tage zurückgeschickt, ganz sicher.
Nichts passiert. Der Kunde fragt erneut nach. Huch, die Neue ist im Urlaub und hat die Rücksendung vorher nicht geschafft. Aber nach ihrer Rückkehr wird sie ganz bestimmt….. Nichts geschieht. Ich frage bei ihr nach. Ja, dann und dann sei sie wieder zuhause und dann…. Die Stimme klingt mir unsicher. Ich frage, ob es was zu besprechen gibt, irgendetwas dazwischengekommen ist? Nein, alles super.
Eine Woche nach der genannten Rückkehr ist im Briefkasten meines Kunden vieles, aber nicht der besagte Arbeitsvertrag. Ich rufe bei der Kandidatin an, erreiche nur den Anrufbeantworter. Zwei Tage später noch immer keine Reaktion. Ich versuche es erneut und muss feststellen, dass ich auf dem Handy blockiert werde. Von einer Person, die als Führungskraft(!) eingestellt werden sollte.
Laut einer LinkedIn Umfrage haben 95% aller Unternehmen so etwas schon erlebt. Ich vermute aber, nicht alle in einem so fortgeschrittenen Stadium. Die Umfrage hat auch ergeben, dass 40% der Bewerber das Verhalten völlig in Ordnung finden.
Woher kommt diese Beliebigkeit, diese Unverbindlichkeit, dieses Tindern des Arbeitsmarktes? LinkedIn sagt, dass vor allem junge Leute so handeln. Das macht es nicht besser. Aber natürlich prägt es einen, wenn man auf Dating-Apps gelernt hat, dass ein Wisch weiter noch etwas Besseres warten könnte.
Einige Experten führen das Ghosting darauf zurück, dass die Interviews per Teams, Zoom etc. unpersönlicher sind als das Gespräch vor Ort. Und genau deshalb fühlen sich Kandidaten einem HR-Mitarbeiter oder einem Berater gegenüber nicht mehr so verpflichtet wie früher. Dem Gedanken kann ich viel abgewinnen.
Und ganz sicherlich muss man sich nicht wundern, wenn man es so angeht wie die dänische netto-Kette: Bitte keinen Lebenslauf, bitte kein Anschreiben, sondern schnell in 60 Sekunden ein paar Pflichtfelder ausfüllen. Wer sich ohne viel Nachzudenken in 60 Sekunden bewerben kann, ist auch in 60 Sekunden schnell wieder weg.
Mit dem Daten von Frauen oder Männern ist es allerdings wie mit dem Daten von Unternehmen: Man sieht sich immer zweimal im Leben. Und das Wiedersehen kann dann unangenehm sein. Deshalb sollte man einem Unternehmen reinen Wein einschenken, wenn man nicht mehr interessiert ist. Dann kann man sich bei einem späteren Wiedersehen problemlos in die Augen schauen. Und das ist immer besser.