Am gestrigen Tag der Einheit fielen mir wieder Begegnungen mit Ostdeutschen in der Nachwendezeit ein. Menschen, die in der DDR gute Jobs gemacht hatten, Ingenieure, Produktionsleiter, Lektorinnen oder Kindergärtnerinnen. Und plötzlich waren viele dieser Lebensläufe nichts mehr wert. Weil Ausbildungswege und Anforderungen binnen einer Nacht andere und die erlernten Kenntnisse nicht mehr gefragt waren. In der Not wurde mancher zum Versicherungsvertreter, leitete zwei Niederlassungen einer Autowäscherei oder fand in der Gastronomie eine Aufgabe. Da ging viel Know-how verloren, das vielfach durch eine Schulung oder Fortbildung an die aktuellen Erfordernisse hätte angepasst werden können. 

Übrigens gab es im Westen auch die, deren Arbeitsstätte abgebaut wurde, weil die Inhaber nur 15 Kilometer weiter kurz hinter der gefallenen Grenze Aufbau-Ost-Subventionen und günstigere Arbeitskräfte erhielten. Letztere wurden noch von den alten Mitarbeitern geschult, sehr zu deren Unmut. Genug gejammert. Denn natürlich gab es auch viele Menschen, die sich in jener Zeit mit Pragmatismus, Mut und Pfiffigkeit den neuen Gegebenheiten stellten, einen veränderten beruflichen Weg einschlugen und damit glücklich wurden. 

Zweifelsohne ist man manchmal zur falschen Zeit am Start. Vorige Tage hielt ich einen Lebenslauf in der Hand und dachte: Wieso ist der bei der guten Ausbildung so lange arbeitssuchend gewesen? Beim zweiten Nachdenken wusste ich es: Corona. Er hatte seine Ausbildung 2019 abgeschlossen. Als letzter in die Firma gekommen und folglich auch Anfang 2020 als erster wieder raus. Zwei Jahre, in denen sich Berufsstarter durchhangeln und mit Frust umgehen lernen mussten. Zwei Jahre ohne wirkliche Berufspraxis, zwei verlorene Jahre. Ja, man vergisst leicht. Oder verdrängt.

Jeder Personalverantwortliche hat schon Lebensläufe in der Hand gehabt, bei denen er sich gefragt hat: Was soll ich denn mit der oder dem? So zerrissen durch ständige Wechsel oder wiederkehrende Perioden der Arbeitssuche. Meine Erfahrung zeigt, dass sich viele dieser „Störungsauslöser“ erklären lassen. Umso wichtiger ist es, dass sich Personalsuchende die Zeit nehmen, sich selbst mit solchen CVs auseinanderzusetzen statt sich auf selektierende Software zu verlassen. 

Ich habe einmal einen Lebenslauf in die Hände bekommen, den ein Bewerbungsportal vermutlich gleich gelöscht hätte. Es schien, dass der Mann durch sein Berufsleben irrlichterte. Irgendetwas an dem CV gefiel mir aber und ich interviewte den Mann. Es stellte sich heraus, dass ihn sein Hobby, das deutlich mehr war als ein Hobby, wiederholt zu Umzügen zwang. Dadurch nahm er Tätigkeiten auf, für die er eigentlich überqualifiziert war und die auch nicht zueinander passten. Es fehlte ihm bislang die langfristige Perspektive, die suchte er nun. Ich fand den Mann aus verschiedenen Gründen großartig, mein Kunde auch. Der Faktor Mensch bleibt wichtig.