Lesen sei ein Menschrecht, hat Kurt Kister am Wochenende in der „Süddeutschen“ geschrieben. Letzte Woche habe ich an dieser Stelle darüber berichtet, dass immer weniger Kinder dieses Menschenrecht wahrnehmen wollen. Und am Ende gefragt, wie motiviert man nun Kinder und Enkel zum Bücherlesen? https://nord-coach.de/diese-woche/lesehass/
Patentrezepte existieren natürlich nicht, sonst würden sie schon längst Anwendung finden. Auffällig ist aber, dass es in den skandinavischen Ländern, den Vorreitern der Digitalisierung, im schulischen Bereich ein „back to the roots“ gibt. Der Einsatz von Tablets wird heruntergefahren und durch den von Schulbüchern ersetzt. Gerade in den unteren Schulklassen.
Doch damit nicht genug. Die Schulbibliotheken, vielerorts ein Opfer von Sparmaßnahmen, werden wieder geöffnet. Und mit ihnen werden Schulbibliothekare eingestellt.
Die sind ein ganz wichtiger Faktor bei der Vermittlung von Literatur. Denn sie leiten die Kinder und Jugendlichen durch das Angebot, geben Lesetipps, weisen „ihre Stammkunden“ auf passende Neuerwerbungen hin. Ohne Schulbibliotheken würden auch die lesewilligen Kinder hilflos sein, denn jedes Buch im Handel zu erwerben ist teuer bis unmöglich.
Kritiker bemängeln, dass die Erhöhung der Buchetats in Dänemark, Norwegen und Schweden bei weitem nicht ausreichend sei, eher Symbolpolitik. Aber, so gestehen sie ein, sei dies immer noch besser als gar nichts zu tun.
Interessant finde ich einen anderen Aspekt, den die dortigen Lehrer in die Diskussion geworfen haben. Sie haben festgestellt, dass größere Schüler die Klassiker, die im Kanon einer jeden Schule stehen, aufgrund ihrer kognitiven Fähigkeiten begreifen könnten. Aber sie wollen es nicht. Die Bücher interessieren sie nicht, weil sie nichts mit ihrer konkreten Lebenssituation zu tun haben. Sie sind ihnen schlicht gesagt zu abstrakt. Sie wollen sich nicht auf eine andere Epoche, eine andere Wirklichkeit einlassen.
Doch selbst die Lektüre von Büchern, die im Heute spielen, wird von manchen abgelehnt. Das finde ich allerdings normal, Nicht-Leser hat es schon zu meiner Schulzeit gegeben.
Eine weitere tragende Säule sind, wen wird es überraschen, die Eltern. Wenn die lesen, und zwar wenn die Kinder es mitbekommen können, nicht, wenn sie schon schlafen, sind als Vorbild ganz zentral. Wer von seinem Kind verlangt, dass es jetzt liest und dabei selbst am Handy hängt, muss sich nicht wundern.
Unbestritten ist, dem Kind seinen Geschmack zu lassen. Wer Micky Maus-Bücher lesen mag, soll das auch dürfen, wer lieber die Greg-Bücher liest, dem soll das erlaubt sein. Fatal ist es in diesem Fall, wenn Eltern wissen, was für ihr Kind besser ist. Angeblich. Ob Vorlesen hilft oder eine Geldprämie pro gelesenem Buch oder etwas ganz Anderes, müssen Eltern austesten. Unabdingbar ist, dass sie sich ihrer zentralen Rolle als Lese-Animateure bewusst sind.
In der Diskussion um die „Lesehass-Kinder“ sollen digitale Medien nicht an den Pranger gestellt werden. Sondern es geht um eine wirkliche Analog-Digital-Balance, denn so Kurt Kister: „Beim Lesen verschmilzt die im Buch angebotene Welt mit der eigenen Erfahrung, der Erinnerung, manchmal auch den Wünschen. Lesen formt die Innenwelt und dadurch den Blick auf die Außenwelt. Lesen hilft leben.“