Vorige Tage diskutierte ich intensiv mit einem Kandidaten, der auf 100% Home-Office bestand. Das war bei meinem Kunden nicht möglich, 50 % nach der Probezeit sicherlich, aber er wollte darauf partout nicht eingehen. Seine Begründung: „Ich empfinde das Büro als Zeitfresser. Das verlogene Geflüster in der Büroküche und dieses „Wer-mit-wem-gegen-wen“, das raubt mir nur Zeit für meine Arbeit.“

Da wird ihm wohl kaum einer widersprechen wollen. Diesen Intrigantenstadl findet man auf allen Ebenen. Ein Beispiel sind die ersten Seiten mit Unternehmens-Kurznachrichten im Juli-Heft des „manager mangazin“: Da fetzt sich der Audi-Vorstand untereinander, der Rewe-Chef bremst den Getir-Chef hinterrücks aus, der neue Vorstand der Deutschen Bank hat 1.700 Mitarbeiter auf die Streichliste gesetzt, der Mercedes-Finanzchef gilt als interner Dauernörgler, der Haniel-Vorstandschef treibt die Führungskräfte in Scharen in die Flucht. Blutgrätschen überall.

Diese Ränkespiele kennen wir alle aus eigenem Erleben. Ein Beispiel ist der Besprechungs-Zoo mit u.a. dem Hund (aggressiv) und dem Reh (schüchtern), dem Fuchs (hinterlistig) und dem Breitmaulfrosch (spricht endlos). Da werden Rollen eingenommen, bei denen es nur um die Beteiligten und ihr Ego geht, nicht um die Sache. Es werden Intrigen gesponnen („Hilfst du mit, Mike wegzumobben?“) und Gerüchte gestreut („Die und der sollen ja was miteinander haben“). Das Home-Office bietet neue Möglichkeiten („Ich hatte ja gestern frei und habe vormittags in der Stadt Frau XY gesehen. Hatte die nicht gesagt, dass sie im Home-Office ist?“).

Verschlimmert wird das alles noch durch die Falschheit oder Feigheit, dank derer man zu dem Gegenüber nicht ehrlich ist, nicht seine Antipathien oder seine Unzufriedenheit zeigt und zu überwinden sucht, sondern freundlich und mit treuem Blick in die innere Emigration geht. Oder die oben aufgeführten Spielchen spielt. 

Auf der anderen Seite steht aber auch das, was mir Kandidaten als Verlust berichten, wenn sie zu 100% im Home-Office arbeiten. U. a. kein spontaner Austausch mit Kollegen, fehlende kreative Prozesse, abnehmende Bindung zum Unternehmen, kein Kennenlernen neuer Kollegen, zunehmende Vereinsamung. Einmal mehr erscheinen mir hybriden Arbeitsmodelle am geeignetsten, allen Beteiligten gerecht zu werden. Und vielleicht helfen sie zugleich, jedem bewusst zu machen, welche Spielchen im Büro überflüssig sind.

Der eingangs erwähnte Zwist im Audi-Vorstand ist übrigens mittlerweile beendet, der Vorsitzende Markus Duesmann musste gehen. Ein Grund war laut „Süddeutscher“ sein Wesenszug, „nicht immer das zu sagen, was ein Großteil der anderen hören will.“ Ich schätze solche Menschen sehr und hoffe deshalb, dass Florian Bayerlein nicht das Duesmannsche Schicksal ereilt. Auch der Geschäftsführer des Norderstedter Schokolade- und Proteinriegelproduzenten Herza ist gnadenlos ehrlich. Das „Hamburger Abendblatt“ hörte von ihm, „vegane Produkte seien günstiger zu produzieren als herkömmliche und ließen sich teurer vermarkten“.