Mein Gesprächspartner, Personalberater wie ich, redete sich in Wut: „Das liegt nur an diesen verdammten Interviews per Zoom oder Teams.“ Was war passiert? 

Ein von ihm vermittelter Kandidat hatte während der Arbeit gerne mal zu Hochprozentigem gegriffen. Und war deshalb nach knapp drei Monaten wieder entlassen worden. „Wenn ich dem in einer Hotellobby gegenüber gesessen hätte wie früher, hätte ich bemerkt, dass der säuft. Dann hätte ich den garantiert nicht vorgestellt.“ Ich tröstete ihn mit dem Verweis, dass sein Kunde den Mann bei sich im Büro getroffen und auch nichts gemerkt hatte. Vergeblich.

Nun sind ja alle Kontaktbeschränkungen der letzten zwei Jahre aufgehoben, zumindest über Sommer. Für manche sind die Veränderungen nicht so gravierend. Der CNC-Fräser muss weiterhin an der Maschine stehen, der Maurer kann das Haus immer noch nicht vom Home-Office aus fertigstellen. Aber für andere wie HRler, ITler oder Controller stellt sich die Frage nach der Gewichtung von Home-Office und Büro. Gleiches gilt für uns Personalberater, für uns stellt sich die Frage nach der Gewichtung von Hotellobby und Home-Office, Lufthansa und Laufklamotten, Zug und Zoom. Das will ich kurz beschreiben.

Auf den ersten Blick spricht selbstverständlich alles für die persönliche Begegnung, wie vor der Pandemie. Das Eintreten des Kandidaten in einen Raum, die Kleidung, die kleinen Gesten, alles das wird nur im direkten Kontakt sichtbar. Ob jemand den Raum füllt oder nicht, jemand cool ist oder unsicher, das lässt sich per digitalem Gespräch nur schwer feststellen. 

Andererseits: Lohnt sich wirklich eine Zugfahrt von Hamburg z. B. nach Duisburg oder ein Flug von Stuttgart nach Berlin, um zwei Interviews zu führen? Sind der Reisepreis und der Zeitaufwand tatsächlich gerechtfertigt? Werden die Ergebnisse so viel besser? 

„Ihre Kandidatenberichte sind jetzt genauso zutreffend wie früher“, attestierte mir der GF eines mittelständischen Unternehmens, für das ich Positionen zwischen T€ 60 und 90 besetze. Was mich einerseits zwar freute, andererseits aber auch bedeutete, dass ich für dieses Unternehmen nicht mehr reisen darf. Oder muss. Bin ich froh darüber? Jein. Ich reise gerne, habe mich am Ende eines Tages aber manchmal gefragt, ob diese Reise wirklich sein musste. Einheitlicher ist die Meinung im übrigen für Positionen über € 100.000. Dazu sagt eigentlich jeder, dass wir Berater die Kandidaten unbedingt persönlich sehen müssten. Einfach, weil das finanzielle Investment höher ist.

Das klingt nach einer Hybrid-Lösung. Wie sie auch in vielen Firmen Einzug hält oder schon gehalten hat. Und wie dort ein Arbeitnehmer beweisen muss, dass seine Arbeitsqualität im Home-Office so gut ist wie im Büro, müssen wir Berater unseren Kunden beweisen, dass unsere Kandidateninterviews und -charakterisierungen aus dem Home-Office heraus so gut sind wie bei einer Reisetätigkeit. Gleiche Qualität bei sinkenden Kosten, besser kann es für unsere Kunden nicht laufen. Und wir Berater sparen zeitlichen Aufwand. Neudeutsch: Win-win.